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Tageszeitung "neues deutschland": Bürgermeister bekommt Maulkorb

Gemeindevertretung von Woltersdorf untersagt Erscheinen des Mitteilungsblattes

Irgendwo in der Mark befindet sich Woltersdorf. »Ostsprachrohr« Ministerin Regine Hildebrandt mochte die Gemeinde und ließ sich ein Haus errichten. Primaballerina Monika Lubitz fühlte sich hier daheim, auch Schriftsteller und DEFA-Drehbuchautor Manfred Wolter oder DDR-Fußball-Nationaltorwart Bodo Rudwaleit.

Der Ort, den man im vorigen Jahrhundert auch als »Filmatelier« schätzte, wird von drei malerischen Seen gesäumt. Es gibt sanierte Strandpromenaden sowie eine anno 1550 entstandene Schleuse, aber kein Wappen. Die Siedlung erweist sich als die kleinste deutsche Gemeinde, die eine Straßenbahn besitzt. Sie pendelt tagtäglich auf einer 5,6 Kilometer langen Strecke zwischen Woltersdorf und Rahnsdorf. Die Kommune verfügt damit über einen eigenen und direkten Anschluss nach Berlin. Seit 1990 wuchs die Einwohnerzahl von 4790 auf 8297. Weil reichlich zwölf Prozent der Bürger unter 15 Jahre alt sind, gilt die Siedlung als jüngstes Dorf im Landkreis Oder-Spree.

Woltersdorf erweist sich aber nicht nur als moderne Idylle. Denn in der Gemeindevertretung geht es gelegentlich ziemlich hitzig zu. Vor allem in den zwei Jahren, seit die Bewohner sich einen neuen Bürgermeister gewählt haben - den Grünen Rainer Vogel. Weil die Kommunalverfassung es zulässt, dass die Wähler für ein anderes Gemeindeoberhaupt stimmen, aber die alten Mehrheiten aus vorherigen Kommunalwahlen weiter fortbestehen, kommt es für Vogel zu einem schwierig zu bewältigenden Dauerkonflikt: CDU, SPD, FDP und Woltersdorfer Bürgerforum (WBF), die für den abgewählten Amtsinhaber plädiert hatten, nutzen oftmals ihre größere Stimmenzahl gegenüber den Grünen und der Linkspartei, um nahezu alles und jedes zu blockieren, was aus dem Rathaus kommt. Eine Folge verletzter Eitelkeiten? Auf jeden Fall eine Posse aus dem kommunalen Alltag. »Gerade bei einem solchen Konstrukt sollten Bürgermeister und Gemeindevertretung auf Augenhöhe zusammenarbeiten, damit es im Ort vorangeht«, sagt Vogel dem »nd«. Anderswo funktioniert das.

Der jüngste Streit entzündete sich an dem Beschluss des Hauptausschusses, das Erscheinen des 16-seitigen Mitteilungsblattes, das der Bürgermeister namens der Gemeinde herausgibt, vorläufig einzustellen, bis ein Redaktionsstatut erstellt und veröffentlicht ist, was freilich dauern dürfte. In der jüngsten Nummer werden die Leute in 4000 Exemplaren im Nachgang über das Sommerfest informiert. Auch außerhalb des Landkreises viel gelobte Kindergärten und Schulen stellen sich vor. Es wird auf anstehende Termine in der Gemeinde aufmerksam gemacht, auch auf Beschlüsse derselben und das bis zum 3. Dezember laufende Bürgerbegehren für ein Nachtflugverbot. Und Rainer Vogel erlaubt sich zudem, die Bürger auf die bedrohliche Finanzsituation der Gemeinde hinzuweisen. Er spricht von zwölf Millionen Euro Schulden und dem Haushaltsplan, der für die nächsten Jahre wachsende negative Saldi vorsieht.

Vogel nennt weitere Details und meint: Letztlich müsse man sich fragen, wo das Geld für all die großen Vorhaben herkommen soll, die in der Vergangenheit geplant wurden. Zumal es ja Pflichtaufgaben gibt und vorher nicht absehbare Ausgaben entstehen, etwa, einen abrutschenden Hang zu sichern, Reparaturen bei Entwässerungsanlagen vorzunehmen oder unbefahrbar gewordene Straßen instandzusetzen. Rainer Vogel plädiert »für ein gemeinsames Innehalten«, für ein Abwägen zu erwartender Kosten und Einnahmen. Er folgert: »So könnte man vielleicht mit gutem Gewissen und einem Sinn für Nachhaltigkeit entscheiden, ob, wann und welche Sporthalle gebaut werden soll und was wir uns sonst noch leisten wollen und können.«

Der Aufschrei der regierenden Opposition dürfte derweil kaum nachzuvollziehen sein. Als Grund für den Einstellungsbeschluss wird angegeben, der Bürgermeister hätte das Mitteilungsblatt »missbraucht, um mit Halb- und Unwahrheiten die Bürger zu verunsichern und die Arbeit der Kommunalpolitiker zu diskreditieren«. Keine Informationen seien besser als falsche oder halbwahre Informationen, so heißt es beim WBF.

Rainer Vogel denkt, dass er bei solcher politischer Konstellation in der Gemeinde als Bürgermeister Mittler zwischen Einwohnern und Gemeindevertretung sein müsste. Wer in Woltersdorf lebt, solle über das Mitteilungsblatt erfahren, woran im Rathaus gearbeitet wird, nicht nur Beschlüsse lesen, sondern auch von Alternativen und Wegen erfahren und wie sie zustande gekommen sind, sagt Vogel. Die Bürger hätten ein Recht darauf, von den Widersprüchen zu wissen, von den unterschiedlichen Positionen. Er findet es wichtig, dass sie verstehen, was passiert, ihre Einflussmöglichkeiten nutzen, mitentscheiden und auch Verantwortung übernehmen. Etwa, auch mal mitzutun, die Schaufel in der Hand, um eine Nebenstraße in einen einigermaßen befahrbaren Zustand zu versetzen, wenn die Gemeinde kein Geld dafür habe. Natürlich nur in gewissen Grenzen, verstehe sich.

Das Angebot, an dem Blättchen mitzuarbeiten, dort selbst zu Wort zu kommen, lehnt man von CDU bis WBF ab - weil »ein erheblicher Mehraufwand« entstünde. Der Verdacht, dem Bürgermeister einen Maulkorb umhängen zu wollen, lässt sich nicht übersehen.

neues deutschland, 8.10.2012
http://www.neues-deutschland.de/artikel/800568.buergermeister-bekommt-maulkorb.html?sstr=woltersdorf


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